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Hörpositionen

Anknüpfend an das Kooperationsprojekt mit Ö1 («Land und Laute») veröffentlichen Peter Androsch, Anatol Bogendorfer und eingeladene KünstlerkollegInnen in Zukunft hier ihre Hörpositionen. Dabei handelt es sich um akustische Ereignisse, denen sie in ihrem Alltag oder auf Reisen, gezielt oder zufällig beigewohnt haben. Indem sie sie wahrnehmen, dokumentieren, bearbeiten und veröffentlichen, nehmen sie neben der räumlichen auch immer eine künstlerische Position ein. Klang bedeutet hier: Ressource, Material. Hören ist das Werkzeug, mit dem Klänge zur Wahrnehmung und Bedeutung gelangen. Eine Sammlung.

Following on from the cooperation project with Ö1 («Land und Laute»), Peter Androsch, Anatol Bogendorfer and invited artist colleagues will publish their listening positions here. Sound means here: Resource, material. Listening is the tool with which sounds attain perception and meaning. A collection.

HÖRPOSITION 10

Regenrinne

Abby Lee Tee, 2022

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2023/01/Abby-Lee-Tee-–-Regenrinne-2022.wav

Immer während und auch noch Tage nach längeren Regenzeiten entwickelt die Regenrinne gegenüber unseres Balkons eine Passion für durchaus komplexe Rhythmen. Tag und Nacht trommelt sie in verschiedenster Intensität vor sich hin – jedoch nicht durch tropfendes Wasser verursacht, sondern vermutlich durch einen Baufehler: Bei höherem Wasserstand im Kanalschacht unterhalb dürfte das Abflussrohr mit dem durchrauschenden Abwasser verbunden sein und sich die Strömungsgeschwindigkeit in Form von Vibrationen bemerkbar machen. Bei der Verbindung zur Dachrinne über der Erde erzeugt dies ein Klackern, auch lange nachdem durch diese selbst Regenwasser geflossen ist.

Fotos: Abby Lee Tee

HÖRPOSITION 9

Fritz, der finstere Möbelhund

Anatol Bogendorfer, 2022

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Hörpositionen_Fritz-der-finstere-Möbelhund.mp3

Ist Holz das am vielseitigsten eingesetzte Material in der Musik- und Klanggeschichte? Ich weiß es nicht. Die Verschiedenartigkeit von Klangerzeugern wie einem Drumstick, einer Flöte oder einem Xylophon ließen es vielleicht vermuten. Oder die verschiedenen Resonanzkörper, die beim Bau von Instrumenten zur Anwendung kommen, z.B. bei einer Gitarre, Trommel, Geige oder Kalimba.
Ein aus Holz gebautes Haus stellt auch einen Resonanzkörper dar. Ebenso ein Schiff aus Holz. Darin gibt es wiederum Klangerzeuger aus Holz: Tische, Schränke, Stühle. Schleifen, stellen, rutschen, ziehen, schieben ergibt ein Knarren, Quietschen und Knirschen. Das Holz klingt dabei in allen Facetten: hell, dunkel, klar, düster, konkret, abstrakt, profan, geheimnisvoll.

Fotos: Bogdan Kupriets, Eric Parks

HÖRPOSITION 8

Pflastersteine

Sara Trawöger, 2022

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Hörpositionen_Pflastersteine.mp3

Dass der Mensch im Alltag von Rhythmen umgeben und sich selbst im eigenen Rhythmus bewegt, stellt nicht nur Henri Lefebvre in seiner „Rhythmanalysis“ fest. Die Rhythmik des Schritts und der urbanen Umgebung ertönt beim Reisen mit dem Rollkoffer. So wird nicht nur Sprache, Natur, Musik und Verkehr, sondern auch die Architektur hörbar. Der Fluss in dem man sich bewegt, wird akustisch aber auch visuell von der rhythmischen Anordnung der Pflastersteine untermalt. In der Fuge, dem Dazwischen, da wo die Lücke aufgefüllt und so ein Verbindungselement zwischen zwei Steinen darstellt, entsteht das eigentliche Klangerlebnis, welches mit den Rädern des Rollkoffers abgetastet und mit dem eigenen Summen, Fingerschnipsen, Schenkelklopfen oder wahrzunehmenden Umgebungsgeräuschen polyrhythmisiert werden kann.
Im Audiofile sind Aufnahmen verschiedener Straßen von Linz wie auch einer Straße Wiens zu hören. Bei dem Lied „Rabengasse“, welches ich 2016 mit meiner Band La Sabotage kreierte, war die Rhythmik der gleichnamigen Straße in Wien Inspiration meines Schlagzeugspiels und Ausgangsmaterial zur Produktion des Songs. Die Originalaufnahme der Straßenaufnahme ist am Ende des Audiofiles zu hören. Das resultierende Lied dazu hier: Link

Fotos: Sara Trawöger

HÖRPOSITION 7

Krupa Eisregen

Isabella Streibl-Saftic und Leo Saftic, 2020

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Krupa-Eisregen.mp3

Es war mitten im kroatischen Hochsommer, am 4. August 2020 um 17 Uhr 56, als der Himmel runterfiel. Sterne, Kometen, Meteoriten, Asteroiden, Pulsare und anderes Zeug schossen auf die Erde. Ungebremst, brutal, wie eine rasende Wand. Glaubten alle. Denn es hörte sich an, wie wenn einem der Himmel auf den Kopf fällt. Doch es war nur Eisregen, – Krupa, auf Kroatisch.
Hier auf der Hochebene Bribirska Šuma, dem Wald von Bribir also, schlägt das Wetter immer wieder von einem Moment auf den anderen um. Während unten in der Kvarner Bucht das Meer Offenheit und Weite ausbreitet, können hoch im Karst, auf siebenhundert Metern Seehöhe, Nebel, Wolken, Regen, Schnee, Hagel und Eis tief und undurchdringlich über dem Boden stehen und eine Wall of Sound errichten, wie der legendäre, verrückte Musikproduzent Phil Spector seine überdichten und überorchestrierten Arrangements nannte.
Unten liegen im blauen Meer unzählige Inseln wie Perlen auf Schnüren aufgefädelt. An der Spitze der Bucht sitzt die Königin, die unglückliche Stadt Rijeka. 2020 sollte sie als Europäische Kulturhauptstadt glänzen. Doch wie eine Verwünschung schlich die Corona-Epidemie durch den Kontinent und legte die Stadt mit den vielen Namen lahm. Reka, Fiume, Sankt Veit am Flaum oder Szentvit wurde sie genannt, Zeichen und klangliche Erinnerungen der multikulturellen Geschichte.

Fotos: Leo Saftic

HÖRPOSITION 6

HF13523 – Siemens Electrogeräte GmbH

Peter Androsch, 2021

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/HF13523-Siemens-Electrogeräte.mp3

„Made in U.K.“ und „Fabriqué en Angleterre“ steht an der Seite, neben dem Bedienfeld des schon alten Gerätes. Seit ich es mit der Wohnung quasi mitgekauft habe, betrachte ich es mit Skepsis. Ich misstraue ihm regelrecht. Alle bedienen es wie selbstverständlich, mich erinnert es dagegen an „Akte X“ und den Roswell-Absturz. Der Sound bestärkt diesen Eindruck. Es dominiert ein sonores kleines g – nicht genau, ungefähr 196 Hertz – das immer wiederkehrt wie ein gefährlicher Fingerzeig. Drumherum ist ein kontinuierlicher Luftstrom gehüllt, der wie in einer Transportmaschine der US-Army in den 50ern klingt. Das ist auch kein Wunder, denn Percy Spencer verspürte ein seltsames Gefühl, als er Mitte der 40er-Jahre an einem Radargerät arbeitete. Er merkte, dass ein Schokoriegel in seiner Tasche zu schmelzen begann. Das Radar hatte die Schokolade durch die Mikrowellenstrahlung geschmolzen. Vielleicht haben die Außerirdischen, die in Roswell gelandet sind, damit etwas zu tun. Gesund kann es auf jeden Fall nicht sein, das Mikrowellengerät und seine Strahlen, denke ich mir. Obwohl ich sonst nicht technikfeindlich bin.

Fotos: Lili Androsch

HÖRPOSITION 5

Heizen, Rauschen, Wärmen

Peter Androsch, 2021

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Heizen-Rauschen-Wärmen.mp3

Das Ventil hört sich schnell eher an wie eine Schleuse. Es braucht einige entschlossene Drehungen, bis die Düse zum Heizkörper ganz geöffnet ist und das heiße Wasser strömen kann. Auch wenn es scheint, dass das Rauschen gleichförmig sei, werden mit der Zeit feine Nuancen hörbar. So wie in einem Fluss Unebenheiten, Weitungen, Engstellen, Einleitungen, Mündungen oder Böschungen das Fließen beeinflussen und den Klang variieren. Dieser Klang erinnert jedenfalls an die Zeiten, als Heizungen laut sein mußten, um überzeugend wärmen zu können. Erst das hörbare Fließen und Rauschen machte Hoffnung, vom Frieren befreit zu werden. Das ist bei dieser extrem leistungsstarken Fernwärme-Heizung natürlich schnell der Fall. Trotz Vintage-Sound.

Fotos: Lili Androsch

HÖRPOSITION 4

Bialetti Caffettiere Moka Venus

Peter Androsch, 2021

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Bialetti-Caffettiere-Moka-Venus.mp3

Zugegeben: es hat etwas Hysterisches. Immer wieder blitzen einzelne Pfeiftöne auf, bleiben stehen wie klingende Fäden, um dann kaskadenartig nach unten zu fallen. Kleine Knackser, Mini-Explosionen und leichte Schläge durchbrechen dieses komplexe Kontinuum. Der Sound rollt dahin, immer in Bewegung und immer dichter und intensiver. Erst kurz vor dem Ende kommen ein paar Momente der Ruhe. Das Brodeln des Ausbruchs kündigt sich an. Dann endlich wird die heiße, braune Flüssigkeit nach oben ausgespieen. So wie das Magma aus dem Vulkan nach oben jagt und sich dann auf das Land ergießt, so sammelt sich schließlich der duftende Kaffee im oberen Teil der Kanne. Jedes Aufkochen ist klanglich anders, weil ähnliche Elemente immer neu variiert und komponiert. Wie es Witold Lutosławski mit seiner begrenzten Aleatorik oder Iannis Xenakis mit der Stochastischen Musik machten.

Hier ist der Komponist Alfonso Bialetti. Er hat die legendäre Moka Express 1933 erfunden, die sein Sohn Renato nach dem zweiten Weltkrieg zu einem Welterfolg machte. Inzwischen steht der Klassiker der cucina italiana in Abermillionen von Haushalten rund um den Globus. So entstehen jeden Tag unzählige Varianten dieser Automatischen Musik. In unserem Fall mit der Bialetti Caffettiere Moka Venus.

Fotos: Lili Androsch

HÖRPOSITION 3

Der Zirkus

Anatol Bogendorfer

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Der_Zirkus.mp3

Ein Zirkus ist ein Allzeit-Faszinosum. Unabhängig von den Unterhaltungstrends und des jeweiligen Zeitgeists wirkt der Zirkus über die Epochen nahezu magisch auf Jung und Alt.
Der Zirkus Roncalli, in den 1970er Jahren gegründet von Bernhard Paul und Andre Heller, heute ein Paradebeispiel eines modernen Zirkus, fasziniert mit seinem breiten Ausdrucksspektrum in der Verschmelzung von Akrobatik, Theater, Performance, Tanz und Musik. Dem Tierwohl zuliebe verzichtet er auf Tiernummern.
Die Klänge eines Zirkus sind vielfältig. Komprimiert bedeuten sie Staunen, Faszinosum, Spannung, Mysterium und Applaus.

Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer Foto: Anatol Bogendorfer

Fotos: Anatol Bogendorfer

HÖRPOSITION 2

Umspannwerke

Fatima El Kosht, Esther Posledni, Mirjam Mercedes Salzer, Sara Trawöger 2019/20

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2020/05/STROMTON_HOERSTADT.mp3

In dieser Hörposition findet sich die Frequenz der technisierten Existenz. Die Grundschwingung des Stromnetzes kulminiert in den Umspannwerken. Sie umfängt eine Aura von sanft modulierenden 50 Hertz – der Sound der modernen Gesellschaft. Hier ist das Netz verletzlich, darum ist alles geschützt, mit hohen Zäunen umgeben. Betreten verboten! Diese Knotenpunkte des elektrischen Blutkreislaufes finden sich an unerwarteten Stellen: auf offener Wiese, neben einem Badesee, in einem Parkhaus. Überall kann es sein, dass das stumme Summen durchsickert. Meist weiß man nicht, wo es herkommt. Die Aufnahmen wurden mit dem Audiorecorder Zoom H6 bewerkstelligt.

Fotos: Mirjam Mercedes Salzer und Sara Trawöger

HÖRPOSITION 1

Waschmaschine

Peter Androsch, 2018

http://hoerstadt.at/wp-content/uploads/2019/03/Waschmaschine.mp3

Besonders bemerkenswert an dieser Hörposition ist der Klang der vollmundigen Basstrommel. Er könnte entweder von einem Schlagzeugset von John oder Jason Bonham stammen oder einer gut gestimmten großen Orchestertrommel. Diese rhythmisch-unrhythmische Hörposition gehört aber in Wirklichkeit zu einer Waschmaschine vom Typ Bauknecht WATK Sense 96G6, die in einem Kurzprogramm ein paar Paar Nike Bomba, EU-Größe 38, und ein Paar Wilson WR 5956800, EU-Größe 42 2/3 – beide Paare Sportschuhe – in einem Polsterüberzug wäscht. Die Waschmaschine steht in einem äußerst kleinen Badezimmer, das zwar völlig verfliest ist, aber ob der Kleinheit keinen hörend erkennbaren Raumklang generiert. Der Klang steht verdreht und nackt regelrecht vor uns – so physisch, dass einem auch die Assoziation zu einem Boxkampf in den Sinn kommen könnte. Sind da nicht die wuchtigen, harten Schläge, dann die tänzelnden Schritte, Angriff und Verteidigung?

Fotos: Peter Androsch

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