Architektonische Nebensache?
Wider besseres Wissen wird die Akustik im Bereich der Architektur und Planung nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Vor allem dann, wenn es darum geht, die gesamtheitliche Funktion eines Gebäudes zu erfassen.
Akustik – die natürlichste Nebensache der Architektenwelt. Auch so könnte ein Urteil über die Beziehung der Architekten zum eigentlich konkurrenzlosen Zusammenspiel der beiden Sinne – Hören und Sehen – ausfallen. Dabei fand die Akustik als Lehre vom Schall (und seiner Ausbreitung) stets ein großes Anwendungsgebiet in der Architektur. Man möchte gar meinen, die beiden Wissenschaften und Betätigungsfelder bedienten sich über lange Zeit gegenseitig in der Erkenntnisgewinnung. Das Amphitheater in der Antike, die großen Kathedralen im Mittelalter, das Tonstudio in der Neuzeit – überall dort spielte der Hörsinn eine wesentliche Rolle bei der baulichen Gestaltung. Dementsprechend gehen viele Erkenntnisse in der Akustik auf uralte Herausforderungen an die Architektur zurück. Doch bereits in dieser Aufzählung drückt sich ein kleiner Irrtum im kollektiven Bewusstsein hinsichtlich des Themas «Bauen und Akustik» aus. Das «akustische Funktionieren» eines Gebäudes wird oftmals auf die speziellen Anforderungen von wiederum speziellen Bauten – etwa Konzertsäle oder Tonstudios – reduziert, die auditive Wahrnehmung des Menschen in allen räumlichen Situationen kommt dabei zu kurz. Nun ließe sich aber jedes Gebäude als Klang- bzw. Resonanzkörper verstehen und dementsprechend könnten mit den Erkenntnissen aus der Akustik einfache, aber zufrieden stellende Problemlösungen herbeigeführt werden.
Manfred Quatember ist Bediensteter im Bau- und Planungsamt des Landes Oberösterreich. Er sitzt in einem kleinen Büro inmitten eines modernen Bürokomplexes und spricht über seine Erfahrungen. «Ein paar Tage nach der Eröffnung einer neuen Schule wurde ich angerufen und der Direktor meinte aufgebracht ‹…das funktioniert nicht! Man hört überall den Lärm der Nachbarräume durch!›» Quatember musste ausrücken und versuchen im Nachhinein zu retten, was noch zu retten ist. Ähnliches ist dem heute nahe der Pensionierung stehenden Beamten oft widerfahren. Anstatt eine gesamtheitliche akustische Planung von Beginn an zu forcieren, müssen Bauträger, Architekten oder Nutzer bei Gebäudefertigstellung oftmals postwendend etwas Unsichtbares kaschieren, das nachträglich auch spürbar die Kosten sowie den Ärger über ästhetische «Nachbehandlungen» steigert. Nachdem er in seiner beruflichen Laufbahn früh mit dieser Problematik in Berührung kam, entwickelte Quatember im Selbststudium ein Know How, das ihn zu einem Spezialisten auf dem Gebiet der Gebäudeakustik macht. Dabei ist er davon überzeugt, dass es oft banale Dinge sind, die in der Planungsphase zu berücksichtigen wären, um eine gute Gebäudeakustik zu erzeugen – Dinge, die im Übrigen auch keine Mehrkosten mit sich brächten. «Es sollte eine Grundvoraussetzung sein, dass sich jeder Architekt bzw. Planer mit Themen wie Nachhallzeiten und Trittschalldämmung auseinandersetzt. Wie muss ich die Wände mit den Decken und Böden verbinden, damit es nicht dementsprechende Schallübertragungen gibt? Wie lege ich die Planung der Haustechnik an, damit ich nicht über die Haustechnik Schall übertrage?»
Hier vermisst Quatember beim Zusammenwirken mit der Planung vor allem bei der Ausführung die nötige Sensibilität. «Wenn man bei einer geplanten Zwischenwand das Wandprofil auf den Unterboden und nicht auf den Estrich aufsetzt, könnte man relativ leicht verhindern, dass sich der Schall über den Boden in andere Räume ausbreitet. Oder wenn man den Lichtschalter, der ja meist mit dem Lichtschalter im nächsten Raum auf einer direkten Linie liegt, ein wenig versetzt und beim Verlegen der Leitung dazwischen noch einen «Sack» bildet…; auch so verhindert man das Entstehen einer direkten Übertragungsleitung.»
Unerwünschte Schallübertragung stellt neben der Raumakustik den wesentlichen Indikator für eine gute oder schlechte Gebäudeakustik im Inneren dar.
Schall breitet sich wellenförmig aus, und zwar in der Luft ebenso wie in Festkörpern. Nun soll der Schall möglichst gebrochen bzw. absorbiert werden, wenn er sich in seiner Ausbreitung nicht zum störenden Nebengeräusch in einem Gebäude entwickeln soll. Viele Bereiche in einem Bauwerk fördern allerdings eine Schallübertragung. Raumakustiker können nach Fertigstellung eines Gebäudes, wenn Raumform, Volumen und Materialität feststehen, und zusätzlich sich diverse Installationskanäle oder Lüftungsschächte geradezu als Schallverstärker bemerkbar machen, kaum noch etwas an der Situation ändern. Ihr Aufgabengebiet umfasst lediglich Überlegungen zur «Hörsamkeit» eines Raumes, etwa in Bezug auf die Besonderheiten der Sprachperzeption. Doch auch hier ließen sich bereits anhand einer bewussten architektonischen Planung bessere Ergebnisse erzielen. Glatte, harte und parallele Oberflächen sollten vermieden werden, stattdessen sollten weiches Material oder raue Oberflächen zur Anwendung kommen. Diese könnten verhindern, dass die kontinuierlichen Reflexionen der Schallwellen in einem Raum (der sogenannte Nachhall) zeitliche Längen aufweisen, die zu Problemen hinsichtlich des allgemeinen Wohlbefindens und des «Funktionierens eines Raums» führen.
Was nun die Raumakustik betrifft, treten im Wohnbereich relativ wenige Probleme auf; Möbel, Vorhänge und Teppiche absorbieren genug Schall um auch akustisch ein angenehmes Klima zu erzeugen.
Schwieriger gestaltet sich die Situation z.B in vielen Schulräumen, wo nicht nur Lärm, sondern vor allem schlechte Sprachverständlichkeit – ausgelöst durch zu große Halligkeit – Lehrer und Schüler zu Betroffenen einer schlechten Akustik machen. Bereits vor zehn Jahren konnte man anhand einer Studie der Heriot-Watt-Universität in Edinburgh ablesen, welch Auswirkungen schlechte Klassenraumakustik auf dieses Segment der Gesellschaft hat: Konzentrationsstörungen bei Lehrern und Schülern, schlechtere Lernleistungen, Kopf- und Halsschmerzen, häufigere Krankschreibungen, ein schlechteres soziales Klima aufgrund aggressiven Verhaltens durch Lärm. Trotz bekannter Regeln der akustischen Gestaltung werden diese auch hier in der Praxis kaum umgesetzt.
Ein weiteres Problemfeld und zweiter Indikator für die Gebäudeakustik ist die Aussenwirkung.
In der modernen Stadtplanung und Architektur ist ziemlich in Vergessenheit geraten, dass ein Gebäude auch im Außenbereich Schall reflektiert und somit einen wichtigen Faktor in unserer akustischen Umwelt darstellt.
«Wir beschweren uns über den Verkehr als Lärmerreger und bedenken dabei nicht, dass wir mit all den symmetrischen Formen, den glatten Beton- und Glasoberflächen, geraden Fluchtlinien und röhrenartigen Strassenzügen den Lärmschall geradezu auf uns zurückwerfen und multiplizieren.» erörtert Quatember das Problem. Auch im 17. oder 18. Jahrhundert ging es laut her in den engen Straßen von Venedig oder Florenz, Kutschen hätten wohl bei einer Dezibelmessung mindestens dieselbe Lautstärke wie Autos erreicht. Dennoch könnte man in jenen alten Städten auch heute noch gut beobachten, wie architektonisch versucht wurde, auf die akustische Umgebung Einfluss auszuüben. «Man kann davon ausgehen, dass sich architektonische Maßnahmen von damals – Vorsprünge, Rücksprünge, Balkone, raue Oberflächen und nicht parallel verlaufende Häuserfronten – auch auf akustische Überlegungen rückführen lassen.» Als Argument dafür spräche das enorme akustische Wissen, das bereits viel früher beim Kirchenbau angewandt wurde. In alten Kirchen würde man nie gleich lange Seitenflächen vorfinden, diese sind alle um ein paar Zentimeter verkürzt, rechte Winkel sind selten, und Deckenverzierungen haben ebenso die Akustik verbessert. «Die Akustik war wichtig, denn die Leute mussten ja auch ohne elektronischer Verstärkung hören können.»
Seit den Pionierarbeiten von Vitrivius in diesem Bereich (1. Jhdt v. Chr.) gab es also fortlaufend große Erkenntnisgewinne im interdisziplinären Feld von Architekturtheorie, -praxis und Akustik. Irgendwann hat der akustische Aspekt in der Architektur jedoch an Bedeutung verloren. Über den genauen Zeitpunkt dieses Shifts wüssten wahrscheinlich Historiker besser bescheid, meint Quatember, er selbst äußert sich diesbezüglich höchstens nebenbei kritisch gegenüber der ansonsten geschätzten Bauhaus Architektur.
Er würde sich jedenfalls wünschen, dass Akustik gerade in umwelt- und gesundheitsbewussten Zeiten wie diesen wieder eine größere Aufmerksamkeit in der Architektur findet. Schließlich finde man ja an anderen Stellen die Lärmbekämpfung auch neben dem Klimaschutz und der Energieeffizienz auf der Umweltschutzagenda. «Vielleicht lernen wir ja aus den Fehlern der jüngeren Vergangenheit!»
Anatol Bogendorfer
erschienen in «Modulor – Architektur, Immobilien, Recht» Ausgabe #1/08 (Printversion);
www.modulor.ch