Hörpositionen
Anknüpfend an das Kooperationsprojekt mit Ö1 («Land und Laute») veröffentlichen Peter Androsch, Anatol Bogendorfer und eingeladene KünstlerkollegInnen in Zukunft hier ihre Hörpositionen. Dabei handelt es sich um akustische Ereignisse, denen sie in ihrem Alltag oder auf Reisen, gezielt oder zufällig beigewohnt haben. Indem sie sie wahrnehmen, dokumentieren, bearbeiten und veröffentlichen, nehmen sie neben der räumlichen auch immer eine künstlerische Position ein. Klang bedeutet hier: Ressource, Material. Hören ist das Werkzeug, mit dem Klänge zur Wahrnehmung und Bedeutung gelangen. Eine Sammlung.
Following on from the cooperation project with Ö1 («Land und Laute»), Peter Androsch, Anatol Bogendorfer and invited artist colleagues will publish their listening positions here. Sound means here: Resource, material. Listening is the tool with which sounds attain perception and meaning. A collection.
HÖRPOSITION 14
Des Kaisers Brunnen
Peter Androsch, 2024
„Leere deinen Geist, sei formlos, gestaltlos – wie Wasser. Wenn du Wasser in eine Tasse gibst, wird es zur Tasse; wenn du Wasser in eine Flasche gibst, wird es zur Flasche; wenn du es in eine Teekanne gibst, wird es zur Teekanne. Wasser kann fließen oder es kann krachen. Sei Wasser, mein Freund“, rät der legendäre Bruce Lee. Trotzdem ist es erstaunlich, dass der Klang immer abstrakter wird, je länger man dem Brunnen im Hof der ehemaligen kaiserlichen Stallungen von Bad Ischl in Oberösterreich zuhört. Es könnten sogar Schläge sein …
The Emperor’s Fountain
“Empty your mind, be formless, shapeless – like water. When you put water in a cup, it becomes a cup; when you put water in a bottle, it becomes a bottle; when you put it in a teapot, it becomes a teapot. Water can flow or it can crash. Be water, my friend,” advises the legendary Bruce Lee. Nevertheless, it is amazing that the longer you listen to the fountain in the courtyard of the former imperial stables in Bad Ischl, Austria, the more abstract the sound becomes. It could even be blows …
HÖRPOSITION 13
Burn After Recording
Oder: The medium is on fire
Anatol Bogendorfer, 2024
Was bleibt von der Schallwelle nachdem sie entschwunden ist? Gibt es Reste, Spuren davon? Spuren wie der Ruß eines Feuers? Haften diese Spuren an den Wänden unserer Häuser? Wie ein Negativ, wie ein Stempel? Ich stelle mir vor, wir könnten aus dem akustischen Ruß in einem galvanopraktischen Verfahren ein Positiv schaffen. Wie bei der Vinylherstellung. Dann erklingt die Vergangenheit und verrusst dabei ein weiteres Mal. Es entsteht eine Art Endlosrille. Das alles macht keinen Sinn für Sie? Aber warum klingt die Endlosrille dann wie ein Feuer? Da haben Sie´s!
Burn After Recording
Or: The medium is on fire
What remains of the sound wave after it has disappeared? Are there remnants, traces of it? Traces like the soot of a fire? Do these traces stick to the walls of our houses? Like a negative, like a stamp? I imagine we could create a positive from the acoustic soot in a galvanopractic process. Like in vinyl production. Then the past sounds and becomes sooty once again. The result is a kind of locked groove. None of this makes sense to you? But then why does the locked groove sound like a fire? There you ́ve got it!
HÖRPOSITION 12
Der Chor
Andreea Vladut, 2023
Im Cișmigiu-Park in Bukarest sind es die Frösche, die die ganze Nachbarschaft zum Schlafen rufen. Umgeben von großen Betongebäuden wird der Park zu einem Amphitheater, das den Chor aus Quaken, Pfeifen, Gackern und Grunzen noch verstärkt. All die Stimmen verschmelzen zu einer Klanglandschaft voller Harmonien und reicher Obertöne, die sich mit dem geschäftigen Treiben der Menschen und dem Rumpeln der vorbeifahrenden Autos vermischen.
Fotos vom Winter 2021
The Choir
In Cișmigiu Park, Bucharest, the frogs are the ones that give the call to sleep for the entire neighborhood. Surrounded by big concrete buildings, the park becomes an amphitheater, amplifying the chorus of croaks, whistles, clucks, and grunts. All the voices merge into a soundscape filled with harmonies and rich overtones, intertwining with the hustle and bustle of human activity and the rumble of passing cars.
Photos from winter 2021
HÖRPOSITION 11
Schallrohr
Leo Saftic, 2023
Das eigene Tun kommt einem oft selbstverständlich vor. Es bleibt unbeachtet. Zum Glück hat Leo Saftic dieses Mal gut hingehört und Hörstadt-Kollegen Anatol Bogendorfer beobachtet. Er schleift mit einem „Drahtwaschl“, wie es in Österreich heißt, das Ende des gelben Rohrs. Mit der Edelstahl-Spirale auf dem Akkuschrauber werden dem vierzig Meter langen Rohr abenteuerlich tiefe Töne entlockt: Grollen, Röhren, Grunzen und Brüllen und alles dazwischen. Meist kontrastiert durch das helle, aber nicht kreischende Brausen des Werkzeugs. Schnell kommt die Assoziation zu Giorgio Battistellis „Experimentum Mundi“. Die „Opera di musica immaginistica“ entsteht durch die Geräusche der Handwerker seiner Heimatstadt Albano Laziale. Seit der Premiere 1981 ist es mit 400 Aufführungen ein Hit des Musiktheaters geworden. Auf Leos Weise könnte jede:r ein kleines akustisches Weltexperiment wagen.
Sound Tube
One’s own actions often seem self-evident. It remains unnoticed. Fortunately, Leo Saftic listened carefully this time and observed Hörstadt colleague Anatol Bogendorfer. He is grinding the end of the yellow pipe with a „Drahtwaschl“, as it is called in Austria. With the stainless steel spiral on the cordless screwdriver, adventurously deep sounds are elicited from the forty-meter-long pipe: rumbling, roaring, grunting and screaming and everything in between. Mostly contrasted by the bright, but not screeching howl of the tool. The association with Giorgio Battistelli’s „Experimentum Mundi“ comes quickly. The „Opera di musica immaginistica“ is created by the sounds of the craftsmen of his hometown Albano Laziale. Since its premiere in 1981, it has become a hit of musical theater with 400 performances. In Leo’s way, each could dare a small acoustic world experiment.
HÖRPOSITION 10
Regenrinne
Abby Lee Tee, 2022
Immer während und auch noch Tage nach längeren Regenzeiten entwickelt die Regenrinne gegenüber unseres Balkons eine Passion für durchaus komplexe Rhythmen. Tag und Nacht trommelt sie in verschiedenster Intensität vor sich hin – jedoch nicht durch tropfendes Wasser verursacht, sondern vermutlich durch einen Baufehler: Bei höherem Wasserstand im Kanalschacht unterhalb dürfte das Abflussrohr mit dem durchrauschenden Abwasser verbunden sein und sich die Strömungsgeschwindigkeit in Form von Vibrationen bemerkbar machen. Bei der Verbindung zur Dachrinne über der Erde erzeugt dies ein Klackern, auch lange nachdem durch diese selbst Regenwasser geflossen ist.
HÖRPOSITION 9
Fritz, der finstere Möbelhund
Anatol Bogendorfer, 2022
Ist Holz das am vielseitigsten eingesetzte Material in der Musik- und Klanggeschichte? Ich weiß es nicht. Die Verschiedenartigkeit von Klangerzeugern wie einem Drumstick, einer Flöte oder einem Xylophon ließen es vielleicht vermuten. Oder die verschiedenen Resonanzkörper, die beim Bau von Instrumenten zur Anwendung kommen, z.B. bei einer Gitarre, Trommel, Geige oder Kalimba.
Ein aus Holz gebautes Haus stellt auch einen Resonanzkörper dar. Ebenso ein Schiff aus Holz. Darin gibt es wiederum Klangerzeuger aus Holz: Tische, Schränke, Stühle. Schleifen, stellen, rutschen, ziehen, schieben ergibt ein Knarren, Quietschen und Knirschen. Das Holz klingt dabei in allen Facetten: hell, dunkel, klar, düster, konkret, abstrakt, profan, geheimnisvoll.
HÖRPOSITION 8
Pflastersteine
Sara Trawöger, 2022
Dass der Mensch im Alltag von Rhythmen umgeben und sich selbst im eigenen Rhythmus bewegt, stellt nicht nur Henri Lefebvre in seiner „Rhythmanalysis“ fest. Die Rhythmik des Schritts und der urbanen Umgebung ertönt beim Reisen mit dem Rollkoffer. So wird nicht nur Sprache, Natur, Musik und Verkehr, sondern auch die Architektur hörbar. Der Fluss in dem man sich bewegt, wird akustisch aber auch visuell von der rhythmischen Anordnung der Pflastersteine untermalt. In der Fuge, dem Dazwischen, da wo die Lücke aufgefüllt und so ein Verbindungselement zwischen zwei Steinen darstellt, entsteht das eigentliche Klangerlebnis, welches mit den Rädern des Rollkoffers abgetastet und mit dem eigenen Summen, Fingerschnipsen, Schenkelklopfen oder wahrzunehmenden Umgebungsgeräuschen polyrhythmisiert werden kann.
Im Audiofile sind Aufnahmen verschiedener Straßen von Linz wie auch einer Straße Wiens zu hören. Bei dem Lied „Rabengasse“, welches ich 2016 mit meiner Band La Sabotage kreierte, war die Rhythmik der gleichnamigen Straße in Wien Inspiration meines Schlagzeugspiels und Ausgangsmaterial zur Produktion des Songs. Die Originalaufnahme der Straßenaufnahme ist am Ende des Audiofiles zu hören. Das resultierende Lied dazu hier: Link
HÖRPOSITION 7
Krupa Eisregen
Isabella Streibl-Saftic und Leo Saftic, 2020
Es war mitten im kroatischen Hochsommer, am 4. August 2020 um 17 Uhr 56, als der Himmel runterfiel. Sterne, Kometen, Meteoriten, Asteroiden, Pulsare und anderes Zeug schossen auf die Erde. Ungebremst, brutal, wie eine rasende Wand. Glaubten alle. Denn es hörte sich an, wie wenn einem der Himmel auf den Kopf fällt. Doch es war nur Eisregen, – Krupa, auf Kroatisch.
Hier auf der Hochebene Bribirska Šuma, dem Wald von Bribir also, schlägt das Wetter immer wieder von einem Moment auf den anderen um. Während unten in der Kvarner Bucht das Meer Offenheit und Weite ausbreitet, können hoch im Karst, auf siebenhundert Metern Seehöhe, Nebel, Wolken, Regen, Schnee, Hagel und Eis tief und undurchdringlich über dem Boden stehen und eine Wall of Sound errichten, wie der legendäre, verrückte Musikproduzent Phil Spector seine überdichten und überorchestrierten Arrangements nannte.
Unten liegen im blauen Meer unzählige Inseln wie Perlen auf Schnüren aufgefädelt. An der Spitze der Bucht sitzt die Königin, die unglückliche Stadt Rijeka. 2020 sollte sie als Europäische Kulturhauptstadt glänzen. Doch wie eine Verwünschung schlich die Corona-Epidemie durch den Kontinent und legte die Stadt mit den vielen Namen lahm. Reka, Fiume, Sankt Veit am Flaum oder Szentvit wurde sie genannt, Zeichen und klangliche Erinnerungen der multikulturellen Geschichte.
HÖRPOSITION 6
HF13523 – Siemens Electrogeräte GmbH
Peter Androsch, 2021
„Made in U.K.“ und „Fabriqué en Angleterre“ steht an der Seite, neben dem Bedienfeld des schon alten Gerätes. Seit ich es mit der Wohnung quasi mitgekauft habe, betrachte ich es mit Skepsis. Ich misstraue ihm regelrecht. Alle bedienen es wie selbstverständlich, mich erinnert es dagegen an „Akte X“ und den Roswell-Absturz. Der Sound bestärkt diesen Eindruck. Es dominiert ein sonores kleines g – nicht genau, ungefähr 196 Hertz – das immer wiederkehrt wie ein gefährlicher Fingerzeig. Drumherum ist ein kontinuierlicher Luftstrom gehüllt, der wie in einer Transportmaschine der US-Army in den 50ern klingt. Das ist auch kein Wunder, denn Percy Spencer verspürte ein seltsames Gefühl, als er Mitte der 40er-Jahre an einem Radargerät arbeitete. Er merkte, dass ein Schokoriegel in seiner Tasche zu schmelzen begann. Das Radar hatte die Schokolade durch die Mikrowellenstrahlung geschmolzen. Vielleicht haben die Außerirdischen, die in Roswell gelandet sind, damit etwas zu tun. Gesund kann es auf jeden Fall nicht sein, das Mikrowellengerät und seine Strahlen, denke ich mir. Obwohl ich sonst nicht technikfeindlich bin.
HÖRPOSITION 5
Heizen, Rauschen, Wärmen
Peter Androsch, 2021
Das Ventil hört sich schnell eher an wie eine Schleuse. Es braucht einige entschlossene Drehungen, bis die Düse zum Heizkörper ganz geöffnet ist und das heiße Wasser strömen kann. Auch wenn es scheint, dass das Rauschen gleichförmig sei, werden mit der Zeit feine Nuancen hörbar. So wie in einem Fluss Unebenheiten, Weitungen, Engstellen, Einleitungen, Mündungen oder Böschungen das Fließen beeinflussen und den Klang variieren. Dieser Klang erinnert jedenfalls an die Zeiten, als Heizungen laut sein mußten, um überzeugend wärmen zu können. Erst das hörbare Fließen und Rauschen machte Hoffnung, vom Frieren befreit zu werden. Das ist bei dieser extrem leistungsstarken Fernwärme-Heizung natürlich schnell der Fall. Trotz Vintage-Sound.
HÖRPOSITION 4
Bialetti Caffettiere Moka Venus
Peter Androsch, 2021
Zugegeben: es hat etwas Hysterisches. Immer wieder blitzen einzelne Pfeiftöne auf, bleiben stehen wie klingende Fäden, um dann kaskadenartig nach unten zu fallen. Kleine Knackser, Mini-Explosionen und leichte Schläge durchbrechen dieses komplexe Kontinuum. Der Sound rollt dahin, immer in Bewegung und immer dichter und intensiver. Erst kurz vor dem Ende kommen ein paar Momente der Ruhe. Das Brodeln des Ausbruchs kündigt sich an. Dann endlich wird die heiße, braune Flüssigkeit nach oben ausgespieen. So wie das Magma aus dem Vulkan nach oben jagt und sich dann auf das Land ergießt, so sammelt sich schließlich der duftende Kaffee im oberen Teil der Kanne. Jedes Aufkochen ist klanglich anders, weil ähnliche Elemente immer neu variiert und komponiert. Wie es Witold Lutosławski mit seiner begrenzten Aleatorik oder Iannis Xenakis mit der Stochastischen Musik machten.
Hier ist der Komponist Alfonso Bialetti. Er hat die legendäre Moka Express 1933 erfunden, die sein Sohn Renato nach dem zweiten Weltkrieg zu einem Welterfolg machte. Inzwischen steht der Klassiker der cucina italiana in Abermillionen von Haushalten rund um den Globus. So entstehen jeden Tag unzählige Varianten dieser Automatischen Musik. In unserem Fall mit der Bialetti Caffettiere Moka Venus.
HÖRPOSITION 3
Der Zirkus
Anatol Bogendorfer
Ein Zirkus ist ein Allzeit-Faszinosum. Unabhängig von den Unterhaltungstrends und des jeweiligen Zeitgeists wirkt der Zirkus über die Epochen nahezu magisch auf Jung und Alt.
Der Zirkus Roncalli, in den 1970er Jahren gegründet von Bernhard Paul und Andre Heller, heute ein Paradebeispiel eines modernen Zirkus, fasziniert mit seinem breiten Ausdrucksspektrum in der Verschmelzung von Akrobatik, Theater, Performance, Tanz und Musik. Dem Tierwohl zuliebe verzichtet er auf Tiernummern.
Die Klänge eines Zirkus sind vielfältig. Komprimiert bedeuten sie Staunen, Faszinosum, Spannung, Mysterium und Applaus.
HÖRPOSITION 2
Umspannwerke
Fatima El Kosht, Esther Posledni, Mirjam Mercedes Salzer, Sara Trawöger 2019/20
In dieser Hörposition findet sich die Frequenz der technisierten Existenz. Die Grundschwingung des Stromnetzes kulminiert in den Umspannwerken. Sie umfängt eine Aura von sanft modulierenden 50 Hertz – der Sound der modernen Gesellschaft. Hier ist das Netz verletzlich, darum ist alles geschützt, mit hohen Zäunen umgeben. Betreten verboten! Diese Knotenpunkte des elektrischen Blutkreislaufes finden sich an unerwarteten Stellen: auf offener Wiese, neben einem Badesee, in einem Parkhaus. Überall kann es sein, dass das stumme Summen durchsickert. Meist weiß man nicht, wo es herkommt. Die Aufnahmen wurden mit dem Audiorecorder Zoom H6 bewerkstelligt.
HÖRPOSITION 1
Waschmaschine
Peter Androsch, 2018
Besonders bemerkenswert an dieser Hörposition ist der Klang der vollmundigen Basstrommel. Er könnte entweder von einem Schlagzeugset von John oder Jason Bonham stammen oder einer gut gestimmten großen Orchestertrommel. Diese rhythmisch-unrhythmische Hörposition gehört aber in Wirklichkeit zu einer Waschmaschine vom Typ Bauknecht WATK Sense 96G6, die in einem Kurzprogramm ein paar Paar Nike Bomba, EU-Größe 38, und ein Paar Wilson WR 5956800, EU-Größe 42 2/3 – beide Paare Sportschuhe – in einem Polsterüberzug wäscht. Die Waschmaschine steht in einem äußerst kleinen Badezimmer, das zwar völlig verfliest ist, aber ob der Kleinheit keinen hörend erkennbaren Raumklang generiert. Der Klang steht verdreht und nackt regelrecht vor uns – so physisch, dass einem auch die Assoziation zu einem Boxkampf in den Sinn kommen könnte. Sind da nicht die wuchtigen, harten Schläge, dann die tänzelnden Schritte, Angriff und Verteidigung?